Für grenzüberschreitende Telemedizin im EU-Raum gelten die Rechtsvorschriften des Staates, in dem der/die Behandler/in ihren Beruf ausübt
Kieferorthopädische Leistungen durch ein deutsches Unternehmen in Österreich
Eine in Deutschland ansässige Gesellschaft, deren Gesellschafter keine Zahnärzte sind, bietet kieferorthopädische Behandlungen in Österreich an und schließt dafür Behandlungsverträge ab. Sie stellt den Patienten die Zahnschienen zur Verfügung und betreut sie über eine Applikation, mit der die Patienten regelmäßig Bilder ihrer Zähne übermitteln. Die Erstanamnese, ein Aufklärungsgespräch, sowie ein 3D-Scan des Gebisses und allenfalls erforderliche Vorbehandlungen werden allerdings durch einen österreichischen Partnerzahnarzt durchgeführt, der nicht vom Patienten, sondern von der deutschen Gesellschaft dafür bezahlt wird.
Die Österreichische Zahnärztekammer erhob gegen eine österreichische Partnerzahnärztin Unterlassungsklage, weil nach österreichischem Recht Gruppenpraxen nur erlaubt sind, wenn sie ausschließlich aus Zahnärzten bestehen. Da diese Einschränkung in Deutschland nicht gilt, stellte sich im Verfahren die Frage, ob für die Zulässigkeit der telemedizinischen Tätigkeit der Deutschen Gesellschaft das österreichische oder das deutsche Recht ausschlaggebend ist.
Laut EuGH ist das Recht des Staates, in dem der Zahnarzt tätig wird, ausschlaggebend
Da es sich um eine Leistung handelt, die von einem EU-Mitgliedstaat aus in einem anderen Mitgliedstaat grenzüberschreitend erbracht wird, ist die sogenannte „Dienstleistungsfreizügigkeit“ der EU betroffen. Diese wird im Gesundheitsbereich durch verschiedene EU-Rechtsakte genauer geregelt. Aus Sicht des österreichischen OGH (Obersten Gerichtshofes) ergab sich aus dem bestehenden EU-Recht nicht eindeutig, ob bei telemedizinischen Leistungen das Recht des Staates anzuwenden ist, in dem der Arzt ordiniert oder des Staates, in dem sich der Patient befindet. Bei offenen Interpretationsfragen zum Europarecht sind die nationalen Gerichte verpflichtet, diese dem EuGH (Europäischen Gerichtshof) zur Entscheidung vorzulegen, um zu verhindern, dass es in der EU zu unterschiedlichen Interpretationen der europäischen Rechtsgrundlagen kommt.
Der EuGH vertrat in seiner Entscheidung die Auffassung, dass nur dann, wenn sich der Dienstleister selbst physisch in den Staat begibt, in dem sich der Patient befindet (Anm: etwa, wenn er zu einer Operation in einem Belegspital anreist), die Rechtsvorschriften des Aufnahmestaates gelten, also des Staates, in dem sich der Patient befindet. Bei telemedizinischer Erbringung von Leistungen hingegen sind die Rechtsvorschriften des Staates ausschlaggebend, in dem sich der Leistungserbringer befindet. Das gilt nach Auffassung des EuGH selbst dann, wenn der ausländische Leistungserbringer mit einem inländischen Gesundheitsberuf zusammenarbeitet. Allerdings ist in diesem Fall, auch wenn der Behandlung ein einheitlicher Behandlungsvertrag zugrunde liegt, zu trennen: für die Erbringung der telemedizinischen Leistungen gilt das ausländische Recht des Behandlers, für die vor Ort vom inländischen Partner durchgeführten Leistungen gilt inländisches Recht.
Fazit: Ist ein deutsches Unternehmen zur Erbringung kieferorthopädischer Leistungen nach deutschem Recht berechtigt, dürfen diese Leistungen auf telemedizinischen Weg in Österreich auch dann erbracht werden, wenn dies nach österreichischem Recht nicht erlaubt wäre.
EuGH 11.9.2025, C-115/24 UJ/Österreichische Zahnärztekammer
Hon.-Prof. Dr. Felix Wallner
