OGH verurteilt Haftpflichtversicherer trotz Unterversicherung zur Zahlung
OGH verurteilt Haftpflichtversicherer trotz Unterversicherung zur Zahlung
In einem aktuellen Judikat verurteilte der Oberste Gerichtshof einen Haftpflichtversicherer zur Deckung des entstandenen Schadens, obwohl das eingetretene Risiko nicht vom Versicherungsvertrag der betroffenen Ärztin umfasst war.
Im konkreten Fall
FÄ für Gynäkologie übersah Down-Syndrom
Konkret betraf das Verfahren (OGH, 31.08.2011, 7Ob72/11f) eine Fachärztin für Gynäkologie, die 1996 eine Bündelversicherung abgeschlossen hatte, in der unter anderem eine Betriebshaftpflichtversicherung enthalten war. Beim Abschluss des Versicherungsvertrages machte die Ärztin deutlich, dass sie mit der Haftpflichtversicherung sowohl Risiken bei der Schwangeren als auch beim ungeborenen Kind abgedeckt wissen möchte und wünschte sich daher einen umfänglichen Versicherungsschutz. Dabei unterließ es der Versicherer, die Ärztin darüber zu informieren, dass von der Gesamtdeckung für Haftpflichtschäden in Höhe von 20 Mio ATS (rund 1,5 Mio EUR) lediglich bis zu 100.000 ATS (rund 7.300 EUR) für Vermögensschäden vorgesehen waren und dass überdies das Risiko des Nichterkennens vorgeburtlicher Schäden am Kind nicht explizit vom Versicherungsschutz erfasst war.
Im Jahr 2006 klagte der Vater eines an einem Down-Syndrom leidenden Kindes die Ärztin auf Zahlung des entstandenen Kindesunterhaltes, des Pflegemehraufwandes, der Therapiekosten sowie auf psychisches Schmerzensgeld (insgesamt auf Leistungen in Höhe von rund 357.000 EUR) mit der Begründung, dass die Mutter, wäre bereits im Zuge der Ultraschalluntersuchungen die Behinderung erkannt worden, die Schwangerschaft vorzeitig beendet hätte. Die Mutter selbst klagte die Ärztin wegen des Nichterkennens des Down-Syndroms auf Schmerzensgeld für den erlittenen Geburtsschmerz, des bei Bekanntwerden der Diagnose erlittenen Schockschadens sowie ebenfalls auf psychisches Schmerzensgeld in einer Gesamthöhe von 140.000 EUR.
Entscheidung des OGH
Versicherer muss Deckung zur Gänze übernehmen
Wie in der vorangegangenen, als wrongful-birth - Problematik bekannt gewordenen Rechtsprechung wurde auch in diesem Fall den Eltern des Kindes, das mit einer Erkrankung bzw. einer Behinderung geboren wurde, die bei vorgeburtlicher Untersuchung erkennbar gewesen wäre, unter dem Titel des Vermögensschadens Geldersatz für den durch die Behinderung entstandenen Mehraufwand zugesprochen. Als Begründung hierfür anerkannten die Gerichte das Argument, dass die Eltern sich bei Erkennen der Behinderung zu einem Schwangerschaftsabbruch entschieden hätten und die finanziellen Mehraufwendungen dann nicht entstanden wären.
Die Versicherung gewährte für die den Eltern zugesprochenen Schmerzensgelder Deckung, für die durch die Geburt des Kindes entstandenen finanziellen Mehraufwendungen jedoch nur bis zu der vom Versicherungsvertrag umfassten Höhe. Da die Deckungssumme der Versicherung für Vermögensschäden weit unter dem von den Eltern eingeklagten Betrag lag, führte die betroffene Ärztin ein gerichtliches Verfahren gegen ihren Haftpflichtversicherer. In diesem verurteilten sowohl die Vorinstanzen als schließlich auch der OGH den Versicherer zur gänzlichen Deckung des Schadens. Das Gericht begründete seine Entscheidung damit, dass grundsätzlich eine Aufklärungspflicht des Versicherers über einen Risikoausschluss besteht, wenn erkennbar ist, dass der Versicherungsnehmer genau an der Deckung jenes Risikos interessiert ist. Gleichzeitig könne sich aber eine Belehrungspflicht des Versicherers nicht auf alle erdenklichen Risiken erstrecken.
Im konkreten Fall war der beklagte Versicherer auf Grund des Grundsatzes von Treu und Glauben dazu verpflichtet, spätestens bei Bekanntwerden der ersten wrongful-birth-Fälle der betroffenen Ärztin einen zusätzlichen Versicherungsschutz gegen genau dieses Haftungsrisiko anzubieten, da diese explizit einen umfassenden und bestmöglichen Versicherungsschutz für das ungeborene Kind und für die Mutter gefordert hatte. Da er diesen Wunsch nicht ausreichend berücksichtigt hatte, ließ ihn der OGH in voller Höhe haften.
Fazit
Gefahr der Unterversicherung für Vermögensschäden nach der Ärztegesetznovelle beseitigt
In vielen medizinischen Bereichen, besonders aber in der Pränataldiagnostik und der damit verbundenen wrongful-birth - Problematik stecken auf Grund der hohen Summen, die den Eltern dabei von den Gerichten zugesprochen werden, zweifellos existenzgefährdende Haftungsrisiken. Umso wichtiger ist es, wie nun auch im Ärztegesetz für freiberufliche Ärzte vorgesehen, für einen ausreichenden Versicherungsschutz zu sorgen.
Die im vorliegenden Fall problematische Beschränkung der Deckung von Vermögensschäden auf einen Bruchteil der gesamten Versicherungssumme wurde durch die Neueinführung der zwingenden Haftpflichtversicherung für freiberuflich tätige Ärzte erfreulicherweise gegenstandslos: Nach der zwischen Österreichischer Ärztekammer und dem Hauptverband der österreichischen Versicherungsunternehmen abgeschlossenen Rahmenvereinbarung zur Haftpflichtversicherung müssen nun auch Vermögensschäden von der gesetzlichen Höchsthaftungssumme (2 Mio. EUR) erfasst sein. Die durch § 52d Ärztegesetz neu eingeführte Pflichtversicherung brachte auch die Verpflichtung für Ärzte mit sich, im Fall bereits bestehender Haftpflichtversicherungen diese an die nunmehr geltenden gesetzlichen Bestimmungen anzupassen (Die Ärztekammer für Oberösterreich informierte). Da sich aber die Deckung der Versicherung auf den Zustand bei Eintritt des Schadens (in der wrongful-birth-Problematik ist dies der Zeitpunkt der Erkennbarkeit der Erkrankung bzw. der Behinderung) bezieht, sind freilich noch vereinzelt Haftungsfälle nach der alten Rechtslage vor Sommer 2010 vorstellbar.