Haftung des Belegspitals für einen Kunstfehler des Anästhesisten
Unterschiedliche Leistungspflichten im Belegarztsystem
Der Oberste Gerichtshof musste sich in diesem Fall mit der Frage auseinandersetzen, ob ein Belegspital für einen während eines von einem Belegarzt durchgeführten operativen Eingriffs auftretenden Behandlungsfehler haftet, wenn dieser von einem am operativen Eingriff mitwirkenden und im Belegspital angestellten Anästhesisten zu vertreten ist:
Der Patient war im Sommer 2018 von einem niedergelassenen Arzt als Belegarzt in einer Privatklinik operiert worden. Bei dem zuvor stattgefundenen Erstgespräch wurde weder das Wort Belegarzt erwähnt noch das Belegarztsystem thematisiert. Lediglich in dem dem Patienten am Ende des Erstgesprächs übergebenen Folder der Privatklinik war angeführt, dass es sich um eine Einrichtung mit Belegarztsystem handle. Nähere Erläuterungen zu dem System fanden sich darin nicht. Der Patient las sich den Folder auch nicht durch.
In dem Belegspital gab es drei angestellte Ärzte (einen Anästhesisten, zwei Allgemeinmediziner); darüber hinaus waren dort insgesamt etwa 35 Belegärzte tätig. Wenn ein Belegarzt dort operierte, übernahm das Belegspital die Beherbergung und stellte Anästhesiearzt, Anästhesiepflege, Operationspersonal und Operationsassistenz zur Verfügung; weiters übernahm es Pflege, Reinigung und Versorgung.
Im Zuge der Aufnahme des Patienten wurde ihm unter anderem eine Vereinbarung zur Unterfertigung vorgelegt, welche folgenden Passus enthielt: „Die unterfertigten Vertragsteile halten fest, dass die Privatklinik von der Behandlung des frei gewählten Arztes auch vollkommen getrennte Leistungen erbringt, nur für diese Leistungen haftet und daraus ein vom Honorar des frei gewählten Arztes vollkommen gesonderter Entgeltanspruch entsteht.“ Der Patient unterschrieb diese Vereinbarung ungelesen.
Behandlungsfehler des Anästhesisten
Noch am Tag der Aufnahme des Patienten wurde auch der operative Eingriff durchgeführt. Etwa drei Monate später erfolgte aufgrund von Komplikationen eine Nachoperation. Wegen eines beim zweiten Eingriff aufgetretenen Seroms musste etwa zwei Wochen später noch eine Nekrosektomie durchgeführt werden. Sämtliche Eingriffe erfolgten in demselben Belegspital.
Der Patient klagte daraufhin das Belegspital auf Schmerzengeld sowie Verunstaltungsentschädigung und begehrte die Feststellung, dass das Belegspital auch für allfällige künftige Schäden aus den Operationen haftet. Begründet wurde die Haftung damit, dass der Anästhesist eine falsche Anästhesiemethode gewählt habe und keine ordnungsgemäße Aufklärung erfolgt sei. Das beklagte Belegspital wandte insbesondere die mangelnde Passivlegitimation ein, da es aufgrund der abgeschlossenen Vereinbarung als Belegkrankenhaus nur die Räumlichkeiten und die stationäre Versorgung zur Verfügung stelle, während der Eingriff an sich und die Behandlungsdurchführung im alleinigen Verantwortungsbereich des Belegarztes liege. Während das Erstgericht das Klagebegehren abwies, gab das Berufungsgericht der Berufung des Patienten Folge, hob das Urteil auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurück. Dagegen wurde Rekurs beim Obersten Gerichtshof erhoben.
Der Oberste Gerichtshof hält in seiner Entscheidung neuerlich fest, dass die im Belegarztvertrag erkennbare Aufgabenteilung gegenüber dem Patienten zu einer entsprechenden Aufspaltung der Leistungspflichten des Belegarztes einerseits und des Belegspitals andererseits führt. Der Belegarzt schuldet im Rahmen des Behandlungsvertrags die Behandlung des Patienten, im Regelfall dessen Operation samt Nachbehandlung, und das Belegspital die Erbringung der damit verbundenen krankenhausspezifischen Hilfs- und Zusatzdienste einschließlich all dessen, was man als „Hotelkomponente“ bezeichnet. Der Anästhesist ist demnach grundsätzlich als Erfüllungsgehilfe des Belegarztes anzusehen; dies schließt allerdings eine Haftung (auch) des Belegspitals für den behaupteten Fehler des Anästhesisten nicht aus. Die Pflichtenkreise des Belegarztes und des Belegspitals gegenüber dem Patienten sind zwar keinesfalls inhaltlich vollständig identisch bzw. kongruent, es ist aber möglich, dass sie einander schneiden. Ob im Einzelfall eine solidarische Haftung sowohl des Belegarztes als auch des Krankenhausträgers zu bejahen ist, hängt hierbei stets von den konkreten Umständen des Einzelfalles ab.
OGH bejaht Haftung des Belegspitals
Im konkreten Fall war der Vereinbarung zwischen dem Patienten und dem Spital nicht hinreichend klar zu entnehmen, welche konkreten Leistungen (mit Ausnahme der unmittelbaren Behandlung durch den Belegarzt) das Belegspital erbringt. Mangels eines expliziten vertraglichen Haftungsausschlusses des Belegspitals für allfällige Fehler des – bei ihm angestellten - Anästhesisten haftet das Belegspital aber für das Spitalspersonal nach §1313a ABGB, und zwar auch dann, wenn dieses unter Ingerenz eines Belegarztes tätig wird.
Mag. Seyfullah Çakır