Kein obligatorisches Schlichtungsverfahren bei Rechtsstreit zwischen Ärzten aus Ordinationsübernahme
Ausgangspunkt des Verfahrens
Ausgangspunkt für obige Rechtsfrage war eine Streitigkeit zwischen zwei Kammerangehörigen der Ärztekammer S. Der Kläger begehrte von der Beklagten aufgrund der Übernahme einer Kassenpraxis die Zahlung von EUR 247.483,60, welche als Ablöse vereinbart worden wäre. Die Berechnungsmodalität erfolgte aufgrund einer Richtlinie über das Verfahren zur Bewertung einer Kassenpraxis dieser Ärztekammer. Das gerichtliche Verfahren wurde anhängig, da die Beklagte laut Vorbringen vom Kläger zwar die Ordination übernommen, jedoch im Gegenzug die Ablöse nicht bezahlt habe.
Unzulässigkeit des Rechtsweges?
Im erstinstanzlichen Verfahren wandte die Beklagte ein, die Klagsforderung sei nicht klagbar bzw. nicht fällig, zumal der Kläger das obligatorische Schlichtungsverfahren nach § 94 ÄrzteG 1998 nicht eingeleitet habe. Im Übrigen wäre auch die behauptete Vereinbarung nie abgeschlossen worden. Daraufhin schränkte das Erstgericht die Verhandlung auf den Einwand der Unzulässigkeit des Rechtswegs ein. Das Klagebegehren wurde mit Urteil abgewiesen mit der Begründung, der Kläger habe das obligatorische Schlichtungsverfahren nicht eingehalten. Das Berufungsgericht hob aufgrund der Berufung des Klägers das angefochtene Urteil und das vorangegangene Verfahren mit Beschluss als nichtig auf und wies die Klage wegen Unzulässigkeit des Rechtswegs zurück. Dagegen erhob der Kläger Rekurs, der als zulässig erachtet wurde und im Sinne des Aufhebungsantrages letztendlich berechtigt war.
OGH legt „bei Ausübung des ärztlichen Berufs“ streng aus
Der OGH hat diese Rechtsfrage bislang noch nicht beantwortet und gab es bis zum anhängigen Verfahren keine Rechtsprechung dazu. Zu § 94 Abs 1 und 4 ÄrzteG 1998 („Schlichtungsverfahren“) führte er aus, dass damit Streitigkeiten, die sich aus der Ausübung des ärztlichen Berufs ergeben, umfasst seien. Diese Auslegung entspricht der Zielsetzung der Einrichtung der Schlichtungsstellen den Versuch zu unternehmen, einen Streit aus der beruflichen Tätigkeit durch eine interne, mit Fachleuten besetzten Einrichtung zu schlichten und damit ein Herausdringen der dem Berufsstand meist nicht förderlichen Angelegenheiten an eine breitere Öffentlichkeit zu verhindern. Das Schlichtungsverfahren soll den Parteien die Möglichkeit bieten, ohne jede Formstrenge unter Anleitung erfahrener und sachkundiger Personen den Versuch einer gütlichen Einigung ohne ein langwieriges und kostenaufwändiges gerichtliches Verfahren führen zu müssen.
Nach Rechtsansicht des OGHs wird die Wendung „bei Ausübung des ärztlichen Berufs“ streng ausgelegt und umfasst daher die Streitigkeiten, die untrennbar mit der Ausübung des ärztlichen Berufs verbunden sind. Hingegen sei die Frage, ob die Parteien einen Kaufvertrag über die Ordination abgeschlossen haben, weder eine Streitigkeit, der eine ärztliche Tätigkeit im Sinne des ÄrzteG zugrunde lag, noch eine, der eine ärztliche Tätigkeit im Sinne des ÄrzteG voranging. Unternehmensverkäufe seien eine Zivilrechtsstreitigkeit, die auch in anderen Branchen vorkomme, sodass kein Schlichtungsverfahren zuvor einzuleiten sei. Daher war der Rekurs des Klägers berechtigt und seinem Aufhebungsantrag Folge zu geben.
Fazit
Letztendlich ist aus meiner Sicht offen, ob bei Ablösevereinbarungen im Rahmen von Ordinationsübergaben oder anderen Zivilrechtsstreitigkeiten zwischen Ärzten, die Schlichtungsstelle dennoch angerufen werden kann oder sich diese jedenfalls als unzuständig erklären muss. Ich habe bei meiner vorgehenden Tätigkeit in der Schlichtung die Rechtsansicht vertreten, dass die Schlichtungsstelle bei Einvernehmen der Parteien dennoch tätig werden kann, zumal bislang die Auslegung in § 94 ÄrzteG 1998 nicht geklärt war. Durch die aktuelle Entscheidung ist die Bindungswirkung aber fragwürdig, sowie ob das Schlichtungsverfahren dann nur als Analogie zum Vergleichsversuch betrachtet werden sollte. Darüberhinaus tritt dann aufgrund dieser jüngsten OGH-Entscheidung meines Erachtens in weiterer Konsequenz keine Hemmung der Frist zur Klagserhebung ein. Nun bleibt abzuwarten, wie sich dies in Zukunft entwickeln wird, zumal es immer auf den Sachverhalt ankommt; zum Beispiel, was gilt bei Vermietung der Ordinationsräumlichkeit zwischen Ärzten. Grundsätzlich wäre die Inanspruchnahme der Schlichtungsstelle dennoch zweckmäßig, da Streitigkeiten zwischen Ärzten tunlichst in der Öffentlichkeit zu vermeiden sind und der Versuch einer gütlichen Einigung im Interesse der Parteien ohne kostenaufwändigem gerichtlichen Verfahren stets zu befürworten ist (Entscheidung OGH9Ob28/23t vom 26.07.2023).
Mag. Tanja Müller-Poulakos, LL.M.