Ablehnung der pflegschaftsgerichtlichen Genehmigung einer COVID-19-Schutzimpfung
Erwachsenenvertreter wollte die COVID-19-Schutzimpfung erwirken
Aufgrund der Erkrankung an einer schweren paranoiden Schizophrenie sowie an einer Temporallappenepilepsie wurde ein gerichtlicher Erwachsenenvertreter für die betroffene Person bestellt. Zum Zeitpunkt des Verfahrens befand sich die Betroffene im Krankenhaus, da eine Asylierung verfügt wurde. Der gerichtliche Erwachsenenvertreter der betroffenen Person beantragte die pflegschaftsbehördliche Genehmigung der medizinischen Maßnahmen der Verabreichung einer COVID-19-Schutzimpfung samt der notwendigen Auffrischungen. Als Argumentation wurde vorgebracht, dass ein gültiges Impfzertifikat voraussichtlich für die Aufnahme in eine private Pflegeeinrichtung notwendig sei. Die betroffene Person lehnte die Impfung ausdrücklich ab. Begründend wurde ergänzend vorgebracht, dass die betroffene Person bereits zwei Mal an COVID-19 erkrankt sei und daher die Behandlung nicht erforderlich wäre.
Erstgericht und Rekursgericht wiesen den Antrag auf pflegschaftsgerichtliche Genehmigung der COVID-19-Schutzimpfung ab
Das Erstgericht führte in seiner Begründung aus, dass eine Unterbringung in eine geeignete Pflegeeinrichtung nicht möglich sei und die Betroffene dazu auch nicht gezwungen werden könne. In medizinischer Hinsicht wurde die Notwendigkeit einer Impfung im Vergleich zur früheren Lage aufgrund leichterer Krankheitsverläufe der derzeit herrschenden Omikron-Variante als geringer eingestuft. Die pflegschaftsgerichtliche Genehmigung der Behandlung würde gegen den ausdrücklichen Willen der betroffenen Person erfolgen und entspreche nicht ihrem Wohl. Dazu komme noch, dass die Impfung durchaus über unmittelbaren Zwang nicht durchgeführt werden dürfte. Das Rekursgericht hat diesen Beschluss des Erstgerichtes bestätigt und führte aus, dass eine medizinische Behandlung nur dann genehmigungsfähig wäre, wenn der damit verbundene medizinische Vorteil die zu erwartenden Belastungen deutlich überwiege. Gegenständlich sei nicht gesichert, ob eine deutliche Verbesserung des Gesundheitszustandes der betroffenen Person gegeben wäre. Überdies könne die Impfung auch dazu führen, dass vermehrt psychotische Ideen und Assoziationen eintreten könnten.
Der ordentliche Revisionsrekurs wurde jedoch vom Rekurgericht zugelassen, weil zur Interessensabwägung gemäß § 254 Abs 1 ABGB in Bezug auf COVID-19-Impfungen bislang keine höchstgerichtliche Rechtsprechung bestehe.
OGH nahm Interessensabwägung gemäß § 254 Abs 1 ABGB vor
Gemäß § 254 Abs 1 ABGB bedarf die Zustimmung des Erwachsenenvertreters zur medizinischen Behandlung bei Ablehnung derselben durch die nicht entscheidungsfähige Person der Genehmigung durch das Gericht. Das Gericht dürfe sich daher nur über den Willen der vertretenen Person hinwegsetzen, wenn das Wohl durch Unterbleiben der Behandlung erheblich gefährdet wäre. Die „non-compliance“ des einwilligungsunfähigen Patienten sollte nur dann zu Ungunsten einer medizinisch indizierten Behandlung den Ausschlag geben, wenn der mit dieser Behandlung verbundene Nutzen die zu erwartenden Belastungen nicht deutlich überwiegt. Das Gericht hat sich somit ausreichend medizinische Entscheidungsgrundlagen zur Frage der Erforderlichkeit der Behandlung zu verschaffen, allenfalls durch Beiziehen eines Sachverständigen. Nach Rechtsansicht des Obersten Gerichtshofes haben daher die Vorinstanzen gegenständlich aufgrund ihrer Feststellungen die Ablehnung zu Recht getroffen. Im konkret zu beurteilenden Fall überwiegen die zu erwartenden Belastungen der betroffenen Person nicht deutlich dem Nutzen der angetsrebten Behandlung. Auch die theoretische Möglichkeit der Erlangung eines Betreuungsplatzes in einer privaten Pflegeeinrichtung wiegt nicht schwer genug, um den Ausschlag für die Genehmigung der beantragten Maßnahme zu geben, zumal es offen ist, ob eine derartige Verlegung die gesundheitliche Situation der Betroffenen verbessern würde. Der Revisionsrekurs war daher nicht berechtigt. (4 Ob 174/22z)
Mag. Tanja Müller-Poulakos, LL.M.