2. Stellvertretung

Entscheidungsfähig in medizinischen Angelegenheiten ist eine Person dann, wenn sie in der Lage ist, Grund und Bedeutung einer konkreten Behandlung zu verstehen, ihren Willen danach bilden und sich entsprechend verhalten kann, das heißt auch die Folgen der Zustimmung oder Ablehnung abschätzen kann. Im Zweifel wird das Vorliegen der Entscheidungsfähigkeit bei volljährigen Personen vermutet. Der behandelnde Arzt hat das Vorliegen derselben – soweit notwendig – festzustellen, gegebenenfalls unter Beiziehung eines Facharztes (z.B. Neurologe,Psychiater, ...).
Nur wer entscheidungsfähig für die jeweils medizinisch indizierte Behandlung ist, kann eine Zustimmung dazu erteilen und somit den Behandlungsvertrag selbst abschließen.

 Mit Schaffung des 2. Erwachsenenschutz-Gesetzes (2. ErwSchG) wurde gesetzlich festgelegt, dass

grundsätzlich auch Personen, für die bereits ein Vertreter bestellt wurde, nur selbst in eine medizinisch notwendige Behandlung einwilligen können, soweit sie für die konkrete Behandlung und im konkreten Fall entscheidungsfähig sind (immer Einzelfallbetrachtung). Das heißt, auch dann, wenn bereits ein Vertreter bestellt wurde, entscheidet dieser nicht immer anstelle des Patienten, sondern muss vorab eruiert werden, ob der Patient im konkreten Behandlungskontext im Stande ist, die Einwilligung selbst zu erteilen – Ausnahmen von dieser Regel gibt es für Fälle, bei denen von vornherein klar ist, dass der Patient nicht entscheidungsfähig werden wird (z.B. hochgradig demente Personen bzw. komatöse Patienten).

Um auch Menschen, die nicht entscheidungsfähig sind, möglichst lange ein selbstbestimmtes Leben bzw. selbstbestimmte Entscheidungen zu ermöglichen, sind bei Patienten, die selbst nicht in der Lage sind, in eine medizinisch notwendige Behandlung einzuwilligen, weil sie z.B. nicht verstehen, in welche Art von Behandlung sie einwilligen sollen, Personen beizuziehen, die den Patienten dabei unterstützen können, die eigene Entscheidungsfähigkeit zu erlangen. Diese Personen, die z.B. Angehörige, andere nahe stehende Personen oder aber auch Vertrauenspersonen bzw. besonders geschultes Fachpersonal sein können, sollen dem Patienten die notwendige medizinische Behandlung so erklären, dass dieser versteht, worum es geht, um einen entsprechenden eigenen Willen danach zu bilden.
Dafür sind sämtlich Mittel, die unterstützend wirken können, wie z.B. die Verwendung einfacher Sprache, das Zeigen von Schaubildern oder Modellen, erlaubt. Wird der Patient durch Beiziehung eines Unterstützers entscheidungsfähig, darf nur dieser selbst die Entscheidung treffen – selbstverständlich ist eine Ablehnung der notwendigen medizinischen Behandlung in solchen Fällen auch möglich und erlaubt.

Im Hinblick darauf, dass die Beiziehung eines Unterstützers ein Abgehen von der ärztlichen Schweigepflicht bedingt, weil der behandelnde Arzt dem Unterstützer zuerst erklären muss, welche Be handlung notwendig ist und dafür vertrauliche Patientendaten weitergibt, ist der Patient darüber zu informieren, dass ein Unterstützer beigezogen wird. Gibt in diesen Fällen der Patient in irgendeiner Art zu erkennen (Kopfschütteln reicht), dass er mit der Beiziehung eines bestimmten Unterstützers bzw. generell einer Unterstützungsleistung nicht einverstanden ist, hat diese Unterstützung zu unterbleiben.

 Grundsätzlich hat sich der behandelnde Arzt nachweislich um die Beiziehung eines Unterstützers zu bemühen. In der Krankengeschichte ist die Beiziehung oder Nicht-Beiziehung eines Unterstützers zu dokumentieren bzw. auch festzuhalten, welche Maßnahmen gesetzt wurden, um die Entscheidungsfähigkeit des Patienten zu fördern. Die tatsächliche Suche eines geeigneten Unterstützers kann aber z.B. an nicht-ärztliches (Gesundheits)Personal delegiert werden.

Unterstützung bedeutet nicht, anstelle des Patienten zu entscheiden, sondern den Patienten soweit zu unterstützen, dass er selbst in die Lage versetzt wird, eine Behandlungsentscheidung zu treffen. Stellvertretung hingegen bedeutet, dass der Vertreter anstelle des Patienten entscheidet.

Wird die volljährige Person auch nach Beiziehung eines Unterstützers nicht entscheidungsfähig, bedarf die Durchführung der medizinischen Behandlung der Zustimmung eines Vorsorgebevollmächtigten oder Erwachsenenvertreters. Der Patient selbst ist aber über die bevorstehende Behandlung zu informieren bzw. der Eingriff zu erläutern und er kann dagegen auch widersprechen. Zu den Folgen des Widerspruchs siehe unten unter „Wie ist vorzugehen, wenn sich der Patient und der Vertreter bei der Behandlungsentscheidung nicht einig sind?“

 Die Vertretungsbefugnis eines Vorsorgebevollmächtigen bzw. eines gewählten oder gesetzlichen Erwachsenenvertreters ist zwingend im Österreichischen Zentralen Vertretungsverzeichnis (ÖZVV) einzutragen. Von diesem können Ärzte bei entsprechendem rechtlichem Interesse, Auskunft erhalten (Antrag beim zuständigen Pflegschaftsgericht = Wohnsitz oder gewöhnlicher Aufenthalt des Patien ten), soweit der jeweilige Vertreter nicht selbst beim behandelnden Arzt vorstellig wird und sein Vertretungsrecht durch Vorlage der entsprechenden Urkunde nachweist. Ein Muster für eine derartige Anfrage finden Sie bspw auf der Homepage der Ärztekammer für Oberösterreich.
Das Vertretungsrecht des gerichtlichen Erwachsenenvertreters entsteht mit der Bestellung durch das Gericht. Die Anregung für die Bestellung eines solchen gerichtlichen Erwachsenenvertreters, derdem früheren Sachwalter entspricht, kann durch jedermann, so auch durch den behandelnden Arzt erfolgen. Auf der Homepage des Justizministeriums (https://www.justiz.gv.at/home/gerichte/gerichtssuche~ 781.de.html) wird eine interaktive Suche nach dem jeweils örtlich zuständigen Gericht angeboten.

Die Kompetenzen des Vorsorgebevollmächtigten sind der jeweiligen Vorsorgevollmacht bzw. der entsprechenden Erwachsenenvertreter-Verfügung zu entnehmen. Die Kompetenzen des gesetzlichen Erwachsenenvertreters ergeben sich aus dem Gesetz. Beim gerichtlichen Sachwalter ergibt sich der entsprechende Handlungsspielraum aus dem Gerichtsbeschluss und ist meist auf die konkrete Behandlung begrenzt. (Nähere Details dazu siehe Abschnitt C).

Gibt der Patient im Rahmen der Erläuterung über die bevorstehende Behandlung in irgendeiner Form zu verstehen, dass er mit dieser nicht einverstanden ist (bloßes Kopfschütteln reicht dafür aus), hat die Behandlung im ersten Schritt zu unterbleiben und ist bei medizinisch notwendigen Behandlungen die Zustimmung durch das Gericht zwingend einzuholen. Für den Fall, dass aber der Patient die Zustimmung erteilt und der Vertreter die Behandlung ablehnt, ist ebenfalls das Gericht zu informieren und kann dieses die Zustimmung des Vertreters ersetzen oder einen anderen Vertreter bestellen.

Von Gefahr im Verzug ist dann auszugehen, wenn die Einholung der Zustimmung des Vertreters so lange dauern würde, dass damit das Leben des Patienten gefährdet, eine schwere Gesundheitsgefährdung drohend wäre oder starke Schmerzen damit verbunden sind. Liegt Gefahr im Verzug vor, dann hat der Arzt die medizinisch notwendigen Schritte zur Gefahrenabwehr ohne Zustimmung eines Dritten von sich aus vorzunehmen. Dies bedeutet, dass beispielsweise bei einem bislang nicht vertretenen Patienten, bei dem eine dringende medizinische Maßnahme vorzunehmen ist, die Zeit der Dauer der Bestellung eines Vertreters (mehrere Wochen) in die Entscheidung ob zugewartet werden kann oder nicht, mit einzubeziehen ist.

Bei Personen zwischen dem 14. und dem 18. Lebensjahr (sog. mündig Minderjährige) stellt das Gesetz die Vermutung auf, dass diese entscheidungsfähig sind, sodass diese Personengruppe einfachen medizinischen Behandlungen selbst zustimmen kann. Dies gilt dann nicht, wenn dem Jugendlichen z.B. aufgrund einer geistigen Behinderung oder psychischen Erkrankung die nötige Entscheidungsfähigkeit fehlt.
Ist bei einem mündig Minderjährigen eine „schwerwiegende medizinische Behandlung“ vorgesehen, dann ist neben der Zustimmung des mündig Minderjährigen zusätzlich auch die Zustimmung jener Person erforderlich, die mit der Pflege und Erziehung des Minderjährigen betraut ist 18.
 Bei Kindern vor Vollendung des 14. Lebensjahres ist die Zustimmung grundsätzlich von den Eltern zu erteilen, es sei denn, dass für die konkrete Maßnahme – aufgrund ihrer geringen Komplexität oder geringen Gefahr von Komplikationen – Entscheidungsfähigkeit des Kindes vorliegt. Dies ist immer im Einzelfall sowohl nach Verständigkeit des Kindes als auch der Komplexität und Gefahrengeneigtheit der konkreten Maßnahme zu entscheiden. Im Zweifel sollte die Zustimmung der Eltern eingeholt werden.

Grundsätzlich kann nur der Elternteil wirksam zustimmen, der mit der Obsorge betraut ist. Sind beide Elternteile damit betraut, reicht die Zustimmung eines Elternteiles. Sollte jedoch ein Elternteil dem anderen widersprechen und die Entscheidung noch rücknehmbar sein, dann kommt keine Entscheidung zustande und es ist das Pflegschaftsgericht anzurufen. Uneheliche Kinder werden – soweit  keine gerichtlich genehmigte Vereinbarung der Obsorgeberechtigung auch durch den Vater vorliegt–von der Mutter vertreten.
In einfache medizinische Behandlungen darf auch ein Stiefelternteil für das Stiefkind einwilligen.

Wird die Zustimmung des/der Obsorgeberechtigten aus unsachlichen Motiven verweigert und damit das Wohl des Minderjährigen gefährdet, kann jedermann – damit auch der Arzt - das Pflegschaftsgericht zur Vornahme der Zustimmung anrufen. Das Pflegschaftsgericht ist jenes Bezirksgericht, in  dessen Sprengel das Kind seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt hat. Auf der Homepage des Justizministeriums (https://www.justiz.gv.at/home/gerichte/gerichtssuche~781.de.html) wird eine interaktive Suche nach dem jeweils örtlich zuständigen Gericht angeboten.

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