2. Zulässigkeit einer Freiheitsbeschränkung
Für die Zulässigkeit einer freiheitsbeschränkenden Maßnahmen müssen sowohl materielle als auch formelle Voraussetzungen erfüllt sein.
► Psychische Krankheit oder geistige Behinderung
► Aufgrund dieser Erkrankung das eigene Leben oder Leben bzw. Gesundheit anderer Personen ernstlich und erheblich gefährdet
► Unerlässlichkeit und Verhältnismäßigkeit der Freiheitsbeschränkung zum Gefährdungspotential
► Nichtvorliegen alternativer schonenderer Betreuungs- oder Pflegemaßnahmen
Ernstlichkeit setzt ein hohes Maß an Wahrscheinlichkeit voraus, es muss sich um eine aktuelle Gefährdung handeln, es geht aber um ein prognostisches Urteil, es muss daher nicht zugewartet werden, bis etwas „passiert“. Erheblichkeit liegt jedenfalls dann vor, wenn bei Verwirklichung der Gefährdung eine schwere Körperverletzung droht. Die Möglichkeit von Stürzen oder die Gefährdungen im Straßenverkehr wurden von der Judikatur in aller Regel als erhebliche Gefährdungen anerkannt.
Es handelt sich immer um eine Einzelfallprüfung. Es ist zu prüfen, ob des Gewicht des Zweckes des Eingriffes in die persönliche Freiheit (Selbstschutz, Schutz Dritter) jenes des Grundrechtes auf persönliche Freiheit überwiegt. Nur wenn dies zu bejahen ist, liegt Verhältnismäßigkeit vor. Dies sollte auch entsprechend dokumentiert werden.
Hier kommen z.B. Abarbeiten des Bewegungsüberschusses durch entsprechende Bewegungstherapien, Sturzmatten etc. in Frage. Die Gerichte können im Rahmen von Überprüfungsverfahren auch entsprechende Auflagen erteilen.
Welche formellen Voraussetzungen müssen erfüllt sein, damit eine Freiheitsbeschränkung zulässig ist?
► Anordnung eines dazu Berechtigten
► Ärztliches Dokument (bei Freiheitsbeschränkungen über 48 Stunden)
► Dokumentation
► Aufklärung des Bewohners und Verständigung bestimmter im Gesetz genannter Personen
Das Gesetz hat die Angehörigen mehrere Berufsgruppen mit Anordnungskompetenz ausgestattet und gleichzeitig festgelegt, in welchen Fällen welche Berufsgruppe unter welchen Voraussetzungen anordnungsbefugt ist.
Arzte haben Anordnungskompetenz für medikamentöse Maßnahmen, bei Freiheitsbeschränkungen, die aufgrund oder im unmittelbaren Zusammenhang mit einer ärztlichen Behandlung stehen oder bei sonstigen dem Arzt vorbehaltenen Maßnahmen.
Bei den im Zusammenhang mit der ärztlichen Behandlung stehenden Maßnahmen handelt es sich häufig um solche, die den Behandlungserfolg sicherstellen sollen (z.B. Fixierung um das Herausreißen eines medizinisch notwendigen Katheders sicherzustellen, Sicherungsmaßnahmen im Zusammenhang mit sedierender Medikation, Ruhigstellung nach operativen Eingriffen, um Heilungserfolg
sicherzustellen, …)
Bei sonstigen dem Arzt vorbehaltenen Maßnahmen ist beispielsweise an sehr intensive köpernahe Beschränkungen (wie Mehrpunktfixierungen, Isolierungen in Einzelzimmern, ...) zu denken, wenn bei diesen ärztliche Überwachung geboten ist.
Vor allem Angehörige des gehobenen Dienstes der Gesundheits- und Krankenpflege (nicht jedoch Pflegehelfer!), wenn diese von der Einrichtung damit betraut wurde. Diese Personen sind für pflegerische Maßnahmen, also Maßnahmen, die dem eigenverantwortlichen Tätigkeitsbereich im Sinne des Gesundheits- und Krankenpflegegesetz zuzuordnen sind, anordnungsbefugt. Darunter fallen bspw der Einsatz von Seitenteilen, Versperren von Eingangstüren, Verwendung von Sensormatten, …
Es kommt bei der Abgrenzung zu den ärztlichen Anordnungskompetenzen daher darauf an, ob eine konkrete Maßnahme aus der pflegerischen Intention oder aus der ärztlichen Behandlungsnotwendigkeit resultiert.
In Einrichtungen der Behindertenhilfe und der Pflege und Erziehung Minderjähriger ist darüber hinaus für Maßnahmen im Rahmen der Betreuung (daher nicht für ärztliche Maßnahmen!) eine entsprechend qualifizierte pädagogische Einrichtungsleitung anordnungsbefugt.
Bei allen Freiheitsbeschränkungen über 48-stündiger Dauer (egal, ob diese Dauer durch ein- oder mehrmalige Beschränkung insgesamt erreicht wird) muss ein von einem Arzt erstelltes schriftliches Dokument vorliegen, das neben der Diagnose der psychischen Erkrankung/geistigen Behinderung auch ein Gefahrenprognose enthält. Es muss daher in diesem Dokument angegeben werden, ob und welche konkrete Gefährdungen durch die vorliegende Erkrankung(en) gegeben sind. Gerade diese Gefährdungsprognose ist meist in Entlassungsbriefen nach Krankenanstaltenaufenthalten nicht gegeben, sodass diese als ärztliches Dokument im Sinne des HeimAufG nicht ausreichend sind. Dazu kommt, dass es sich um ein aktuelles Dokument handeln muss, das den derzeit vorliegenden Krankheitszustand abbildet. Der Einrichtungsleiter hat rechtzeitig dafür Sorge zu tragen, dass dieses von einem Arzt ausgestellte Dokument vorliegt.
Der Grund, die Art, der Beginn und die Dauer der Freiheitsbeschränkung sind schriftlich zu dokumentieren. Auch das ärztliche Dokument (siehe Punkt vorher) ist der Dokumentation beizufügen. Inzwischen verfügt nahezu jede Einrichtung über entsprechende Vorlagen für diese Dokumentation. Auf der Homepage z.B. der Ärztekammer für Oberösterreich (www.aekooe.at) finden sich entsprechende Vorlagen sowohl für die Anordnung samt Dokumentation als auch für ein ärztliches Dokument.
Diese Vorschriften sind jedenfalls zu beachten, da die Gerichte bei Fehlen oder gravierenden Mängeln der Dokumentation eine Freiheitsbeschränkung für unzulässig erklären.
Zuallererst ist der betroffene Bewohner selbst über die vorzunehmende Maßnahme zu informieren. Da eine Freiheitsbeschränkung aber gegen oder ohne seinen Willen (und damit gegen oder ohne seine Zustimmung) erfolgt, geht es nicht – wie im sonstigen medizinischen Bereich durch die Aufklärung –
darum, eine rechtswirksame Zustimmung zu erhalten, sondern lediglich darum, den Betroffenen nicht zu „überrumpeln“.
Der Anordnende hat in weiterer Folge den Einrichtungsleiter (Heimleiter, Ärztliche Direktion) von der Freiheitsbeschränkung (bzw. von der Aufhebung derselben) zu informieren. Der Einrichtungsleiter hat in der Folge die Bewohnervertreter und die Vertrauensperson des Bewohners davon in Kenntnis zu setzen.